Andacht

Wenn es Nacht wird

von Nina Schnelle

Foto: markd800

Über den Predigttext für den Sonntag Okuli: Lukas 22,47-53

Predigttext
47 Als er aber noch redete, siehe, da kam eine Schar; und einer von den Zwölfen, der mit dem Namen Judas, ging vor ihnen her und nahte sich Jesus, um ihn zu küssen. 48 Jesus aber sprach zu ihm: Judas, verrätst du den Menschensohn mit einem Kuss? 49 Als aber, die um ihn waren, sahen, was geschehen würde, sprachen sie: Herr, sollen wir mit dem Schwert dreinschlagen? 50 Und einer von ihnen schlug nach dem Knecht des Hohenpriesters und hieb ihm sein rechtes Ohr ab. 51 Da sprach Jesus: Lasst ab! Nicht weiter! Und er rührte sein Ohr an und heilte ihn.52 Jesus aber sprach zu den Hohenpriestern und Hauptleuten des Tempels und den Ältesten, die zu ihm hergekommen waren: Ihr seid wie gegen einen Räuber mit Schwertern und mit Stangen ausgezogen? 53 Ich bin täglich bei euch im Tempel gewesen, und ihr habt nicht Hand an mich gelegt. Aber dies ist eure Stunde und die Macht der Finsternis.

Wenn ich abends die letzte Runde mit meinem Hund gehe, scheint die Dunkelheit mich zu umhüllen. Hier und da erhellt eine Laterne den Weg, bevor ich zu einem Waldstück komme. Ich muss es durchqueren, um schnell wieder zuhause zu sein. Ich atme tief durch, beruhige mich einen kurzen Moment und beschreite dann Meter für Meter.

So dunkel, wie es erstmal scheint, ist es meist gar nicht. Die Augen passen sich schnell den Lichtverhältnissen an und nach und nach erkenne ich immer mehr von der Umgebung. Stück für Stück verliert der dunkle Wald für mich seine Bedrohlichkeit. Und zack, bin ich auch schon wieder draußen und die ersten Straßenlaternen empfangen mich mit ihrem Licht. Ich klopfe mir selbst in Gedanken auf die Schulter. Geschafft!

„So schlimm war es nicht“, sage ich mir im Wissen, dass ich auch morgen wieder Mut brauche, durch die Dunkelheit zu gehen. Es ist die Art von Dunkelheit, an die man sich gewöhnt.

Die Dunkelheit, die einbricht, nachdem Jesus durch einen Kuss verraten wurde, ist anders. Es ist die Art von Dunkelheit, die absolut ist und kein Licht durchlässt. Es ist die Finsternis, die nun die Macht übernommen hat und alles überschattet. Während einer Sonnen- oder Mondfinsternis werden Teile der Himmelskörper teilweise oder ganz verdeckt. Es wird für einen Moment finster auf Teilen der Welt.

Mit dieser Finsternis endet der Predigttext. Eine Stunde, die ohne Liebe ist. In der die Hohenpriester und Jesu Feinde im Moment gesiegt haben. Wir wissen, dass der scheinbare Triumph mit der Auferstehung Jesu eine andere Wendung nimmt. Wir wissen, dass am Ende die Liebe siegt.

Aber in dieser Stunde herrscht Finsternis. Finsternis, die auch die Jünger machtlos macht. Sie können nur zusehen, was passiert. Machtlosigkeit, die auch ich so oft spüre, wenn ich die Nachrichten anschalte und die Luft anhalte bei dem, was um mich herum passiert. Der Dunkelheit im Wald kann ich entkommen. Der Finsternis, die hier und da über mich zieht, nicht.

Der Predigttext endet nicht mit einer hoffnungsspendenden Aussage, mit dem Licht, welches alles wieder in strahlenden Farben scheinen lässt. Wir wissen, das Licht kommt und überwindet die Finsternis. Wir wissen, die Finsternis siegt nur für einen Moment. Und doch legt die Finsternis sich schwer auf die Herzen derer, die Jesus nachfolgen.

Und was macht Jesus in dieser Stunde? Jesus lässt die Finsternis zu. Anstatt sich von ihr einnehmen zu lassen, geht er seinen Weg weiter. Er verweigert seinen Jüngern jegliche Form von Verteidigung und Gewalt. Er geht in der Liebe. Auch in der Finsternis geht er diesen Weg.

Während alles andere von der Finsternis verdeckt zu sein scheint, lässt sich Jesus von der Liebe tragen. Sie scheint wie eine geheime Wunderlampe zu leiten, die in diesem Moment nur er erkennen kann – größer als jede Finsternis, die die Welt überschattet. Ach, wie schön wäre es, wenn sich diese Wunderlampe immer von allein einschalten würde.

Durch den dunklen Wald am Abend komme ich allein. Um die Finsternis auszuhalten, die die Welt zeitweise in Atem hält, brauche ich die Wunderlampe. Ich brauche die Liebe, die Jesus auf seinem Leidensweg getragen und geleitet hat. Die Liebe, die größer als jeder Verrat der Welt ist.

Noch einmal: Am Ende des Predigttextes steht kein hoffnungsvoller Ausblick, kein Licht, welches alles wieder in strahlenden Farben scheinen lässt. Er endet aber in der Gewissheit, dass wir auch in den dunkelsten Stunden getragen werden.

Gebet

Gott, du bist die Liebe. Lass deine Liebe die Finsternis in uns und um uns herum vertreiben. Lass dein Licht heller strahlen als unsere Sorgen, Nöte und Ängste.
Sei bei uns in den dunkelsten Stunden. Schenke uns die Kraft die Finsternis, die hier und da über uns zieht, zu überstehen.
Amen.

Nina Schnelle (29) ist Gemeindepädagogin in der Evangelischen Trinitatis-Kirchengemeinde Mark.