Andacht

Trauern lassen

von Ralph Frieling

Foto: motortion

Über den Predigttext zum Sonntag Invokavit: Hiob 2,7b-13

Predigttext
Und Hiob wurde krank. Geschwüre bedeckten ihn von Kopf bis Fuß. Da nahm er eine Tonscherbe und schabte sich und saß auf dem Boden mitten im Dreck. Seine Frau sagte zu ihm: „Hältst du noch fest an deiner Unschuld? Sage Gott ab und und stirb!“ Da antwortete er ihr: „Du redest törichtes Zeug! Wenn wir das Gute von Gott bekommen, sollten wir da nicht auch das Böse annehmen?“ Bei all dem ließ Hiob sich nichts zuschulden kommen. Kein böses Wort kam ihm über die Lippen. Drei Freunde Hiobs hörten von all dem Unglück, das ihn so schlimm getroffen hatte. Sie kamen zu ihm – jeder aus seinem Heimatort: Elifas aus Teman, Bildad aus Schuach, Zofar aus Naama. Sie hatten sich miteinander verabredet, Hiob zu besuchen, ihn zu beklagen und zu trösten. Schon von Weitem sahen sie ihn, erkannten ihn aber nicht wieder. Da brachen sie in lautes Wehklagen aus. Jeder von ihnen zerriss sein Gewand und warf Staub in den Himmel auf sein Haupt. Und sie saßen bei ihm auf der Erde, sieben Tage und sieben Nächte lang, und sprachen kein einziges Wort. Denn sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war. (Eigene Übersetzung)

Hiob hat alles verloren. An ein und demselben Tag erreichen ihn vier Katastrophenmeldungen – oder Hiobsbotschaften: sein Vieh gestohlen oder verendet. Die Knechte umgebracht und seine zehn Kinder unter den Trümmern des Hauses im Sturm begraben.

Das Schicksal machte aus dem reichen Viehzüchter einen armen Schlucker. Aus dem frohen und stolzen Vater einen verwaisten Vater. Aus dem gesunden Optimisten in der Mitte seines Lebens einen von Geschwüren geplagten Kranken. Aus dem zeitlebens frommen und gläubigen Mann einen – ja, was eigentlich?

Hiob sitzt im Staub und kratzt und ritzt sich, dabei murmelt er wie ein Mantra: „Gott hat alles gegeben, alles genommen, gelobt sei sein Name.“ Für Hiobs Frau sind diese Worte kein Trost. Im Gegenteil bekommt sie einen Wutanfall.

Wut und Trauer liegen nahe beieinander

Sie beugt sich herunter und sagt ihm ins Gesicht: „Hältst du noch fest an frommer Einfalt und Unschuld? Sage Gott Lebewohl und stirb!“ Aggression und Trauer liegen eng beieinander und sind starke Reaktionen auf den Verlust.

Bibelleserinnen und Bibelleser aller Generationen aber haben Hiobs Frau ihre Worte übelgenommen und gesagt: „Seht an, Hiobs Frau, wie töricht und launisch sie ist, sie hat einfach kein Gottvertrauen.“ Nicht einmal ihr Name ist überliefert. Doch wer will der Trauernden Vorwürfe machen?

„Trauer ist Liebe“, schrieb der Bestatter Fritz Roth in seinem gleichnamigen Buch. Wenn einem das Liebste genommen wird, dann ist es normal, sich zurückzuziehen in verinnerlichte Trostworte oder aufzubegehren und Wut und Verzweiflung herauszulassen. Beides, das Insichgehen und der Widerstand, sind Ausdruck der Liebe. Jede und jeder trauert anders und die Trauer braucht Zeit.

Und Begleitung. Die drei Freunde kommen aus allen Ecken des Landes. Da ist kein großes Hallo, nur Erschrecken. Sie tun, wonach ihnen zumute ist und verstellen sich nicht. Die drei werfen Staub und Fragen in den Himmel, setzen sich zum Freund und sagen nichts. Jedes Trostwort wäre schal und eines zu viel. So vergeht die Zeit, sieben Tage und Nächte.

Sicherlich hatte Hiob schon zuvor Besuch bekommen: von Nachbarn, Cousins und Bekannten. Sie überbrachten ihr aufrichtiges Beileid, versuchten es dann mit guter Laune und redeten vom Wetter und ihren Kindern, wechselten schnell das Thema und waren weg. Andere kamen gar nicht, weil sie glaubten, dass sie nur stören. All das half Hiob wenig.
„Manchmal habe ich den Eindruck“, sagte mir ein Patient auf der Krebsstation, „meine Besucher wollen sich selber aufheitern, wenn sie mich hier so sehen. Deshalb quasseln sie sich um Kopf und Kragen.“

Hiobs Freunde sitzen da, sieben Tage und Nächte lang. Sie schweigen, weil es nichts zu sagen gibt. Garantiert fühlen sie sich hilflos. Aber sie bleiben, und Hiob blickt wohl oft auf, um zu sehen, ob die Freunde noch da sind, bei ihm. Bis es Zeit wird zu reden.

Mit Hilfe der Freunde zurück ins Leben

Aus dem ersten Zuhören werden hitzige Diskussionen über Schuld, Leid und Gott. Die Freunde werden viel Unbeholfenes und Törichtes sagen. Aber mit ihrer Hilfe wird Hiob ins Leben zurückkehren und neu erfahren, was Gottes Segen heißt.

Gebet

Für andere in ihrer Not:
Führe sie herauf aus dunkler Tiefe.
Gehe ihnen nach.
Sende Hilfe und Begleitung.
Schenke Trost und neuen Mut.
Lass sie und uns aus dem Tod
zum Leben kommen.
Amen.