Andacht

Mit dem Herzen handeln

von Dagmar Spelsberg- Sühling

Foto: Jenny Sturm

Über den Predigttext zum Sonntag Okuli: 1.Petrus 1,18-21 (+22)

Predigttext
18 Ihr wisst, dass ihr von eurer inhaltslosen Lebensorientierung, die eure Vorväter und Vormütter euch mitgegeben haben, befreit worden seid! Aber ihr seid nicht mit Silber oder Gold losgekauft, 19 sondern mit Blut, das kostbar ist. Wie ein Lamm ohne Fehler, nichts gibt es daran auszusetzen: Christus. 20 Ausersehen schon vor der Gründung der Welt, offenbart in den letzten Zeiten um euretwillen, 21 die ihr um seinetwillen auf Gott vertraut. Denn Gott hat ihn von den Toten aufgeweckt und ihm göttlichen Glanz verliehen. Deshalb richtet ihr euer Vertrauen und eure Hoffnung auf Gott. 22 Ihr habt der Wahrheit gehorcht und lebt nun als gereinigte Menschen. Das soll dazu führen, dass ihr einander mit einer echten Liebe, wie ihr sie zu Geschwistern empfindet, begegnen könnt. Geht immer liebevoll miteinander um, aus vollem Herzen!
(Bibel in gerechter Sprache)

Ihr seid befreit! Ihr seid losgekauft!“ Was mit „losgekauft“ gemeint ist, verstehen in Prostitution gefangene Frauen und Mädchen sofort, egal, wo auf der Welt. Ebenso Geflüchtete, die in Lagern ohne Hoffnung warten oder Familien, die darauf angewiesen sind, dass ihre kleinsten Kinder unwürdig arbeiten müssen. Gold und Silber zum Loskauf wären ihnen schon genug, um frei sein zu können.

Von sexuellem oder spirituellem Missbrauch Betroffene und ihre Angehörigen und Freunde wünschen sich aus tiefstem Herzen, das Trauma los zu sein. Und Mitarbeitende in der Kirche wünschen sich nichts sehnlicher, als von der Angst vor dem Thema Missbrauch frei zu werden.

Wovon brauchen Sie Befreiung? Oder wir alle? Von Angepasstheit und falschem Gehorsam. Von Feigheit. Vom naiven Glauben: Es wird schon alles gut gehen, ich muss nur die Augen schließen. Von allem Übermaß: Essen, Besitz, Bürokratie. Und natürlich von Angst: vor der Zukunft, vor Mobbing und Nicht-Gemocht-werden, vor Machtverlust, vor Bedeutungslosigkeit. Aber auch davor, dass das Geld nicht ausreichen könnte. Vor Alleinsein, Stille und Leere.

Der 1. Petrusbrief sagt: „Ihr seid befreit! Ihr seid losgekauft! Ihr könnt aus dem Herzen mit Liebe handeln“.

In vielen Gesprächen und Prozessen erlebe ich: Ja, diese Zusage kann real werden im Alltag!

Wenn man sich nüchtern anschaut, was unheil ist, sich damit Gott hinhält und dem Heiligen Geist öffnet, eröffnen sich oft neue Schritte aus dem Herzen heraus. Jetzt in der Fastenzeit gibt es viele Aktionen, die dabei unterstützen: „7 Wochen ohne“, Alltagsexerzitien, Heilfasten mit Begleitung, „Projekt Fastenzeit 2024“, die Eremoswochen von „Barfuß und Wild“ und vieles mehr.

Loswerden, was uns bindet. „Ihr seid zur Freiheit befreit, darum lasst euch nicht wieder knechten“. Und all das ist vom Urgrund der Welt an vorgesehen (Vers 10).

Es wagen, auszubrechen aus Leben zerstörenden „Mustern der Vorväter und Vormütter“. Es wagen, Nein zu sagen zu angeblichen Alternativlosigkeiten! Das Dunkle, das Böse beim Namen nennen. Auf Vorbilder schauen, die neben den vorherrschenden Institutionen in Kirche und Staat (die oft nur die Strukturen der Vorväter und Vormütter erfüllen) die Liebe wachsen lassen und die Zukunft bereiten. Es gibt viele Initiativen auf der Welt, die Ernst machen damit, dass wir befreit sind, dem Herzen zu folgen. Vorbilder findet man zum Beispiel auf www.pioneersofchange.org. Wie gut das tut!

Lange habe ich eher geschwiegen angesichts von Hass und Menschenverachtung. Die Missbrauchsstudie hat mich geschockt, aufgerüttelt, und verbindet mich mit dem Herzen. Das Herz sagt: Dafür braucht es eine Seelsorgehotline, groß und auffindbar für Betroffene, für solche, die sich bisher noch nicht geoutet haben, und Angehörige; für die, die unsicher sind, ob sie etwas melden müssten. Keine Angst haben vor diesen dunklen Gesprächen! Daraus wird sich alles Weitere ergeben. Die Liebe wird uns leiten, wenn wir sie einlassen. Täterschutz ist keine Liebe. Der Weg geht durch das Leid, durch das Kreuz hindurch!

„Ihr könnt aus dem Herzen mit Liebe handeln“. Geld und Nahrung sind genug da für alle auf der Welt, wir müssen uns trauen, auf unser Herz zu hören und wieder laut und lauter zu werden gegen das Unrecht. Der Liedermacher Gerhard Schöne hat auf die Melodie von „Jesus, meine Freude“ gedichtet:
„Du warst eingemauert/Du hast überdauert/Lager, Bann und Haft/Bist nicht totzukriegen;/Niemand kann besiegen/Deiner Liebe Kraft/Wer dich foltert und erschlägt/Hofft auf deinen Tod vergebens/Samenkorn des Lebens.“

Gebet:

Christus, dir geben wir alle Menschen, die missbraucht, unterdrückt und stumm gemacht werden. Gib uns den Mut, zu benennen, was Leben und Liebe hindern. Lass uns dem entgegentreten und ändern, was geändert gehört. Gib uns die Gelassenheit, zu ertragen, was wir nicht ändern können, und dabei die Hoffnung auf dein Reich aufrechtzuerhalten. Amen.

Dagmar Spelsberg-Sühling (62) ist Pfarrerin im evangelischen Kirchenkreis Steinfurt-Coesfeld-Borken.