Andacht

Keine leeren Worte

von Larissa Hachmann-Figgen

Foto: Björn Wylezich

Über den Predigttext für den Sonntag Sexagesimä: Jesaja 55,8-12

Predigttext
8 Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr, 9 sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken. 10 Denn gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahin zurückkehrt, sondern feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar und lässt wachsen, dass sie gibt Samen zu säen und Brot zu essen, 11 so soll das Wort, das aus meinem Munde geht, auch sein: Es wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm wird gelingen, wozu ich es sende. 12 Denn ihr sollt in Freuden ausziehen und im Frieden geleitet werden.

Eimer um Eimer trägt sie davon. Ihr Gesicht tränen- und schlammverschmiert. Ihre Existenz in Trümmern. Die Versicherung wird nicht zahlen, was sie sich über Jahre aufgebaut hatte. Julia steht vor dem Nichts.

Markus‘ Ehe ist ein Scherbenhaufen. Nichts mehr übrig von seinem persönlichen „Für immer“. Sie will die Scheidung. Und die Kinder. Sein Herz ist gebrochen. Das Einfamilienhaus leer.

Solomia hatte so viele Pläne. Die Zukunft lag vor ihr. Doch kurz vor Semesterbeginn der erste Fliegeralarm. Die Universität steht nicht mehr. Sie lässt Zukunft und Heimat zurück.

Jakobs Freunde ermutigen ihn immer wieder: „Das wird schon werden.“ Aber es wurde nicht. Seine inneren Dämonen verfolgen ihn. Rauben ihm Beziehungen, Beruf und Hoffnung. Unerbittlich. Der letzte Ausweg: ein Schritt in den Abgrund.

So viele Menschen, die um ihre Lebensplanung betrogen wurden. Schicksale, die verzweifeln lassen. Lebensgeschichten, die nur eine Frage aufwerfen: Warum?

„Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr, sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege“ – dieser Joker wird gern gezogen, wenn es ans Eingemachte geht. Ein Erklärungsversuch. Ein Hinweis auf Gott: „Die Wege des Herrn sind unergründlich…“

Und doch habe ich noch niemanden getroffen, dem diese Feststellung vollends weiterhalf. Keine, die das unhinterfragt hinnehmen konnte. Niemand, der nicht ins Nachfragen käme bei all den großen und kleinen Tragödien im Weltenlauf. Da ist kaum jemand, der es nicht besser finden würde, sich einen Reim auf Gottes Gedanken machen zu können.

Auch mir geht es so. Ganz besonders an diesem einen Tag im Sommer: Die Sonne scheint durch das Blätterdach der Allee. Eine leichte Brise weht. Ein friedlicher Moment. Doch das täuscht.

Traurigkeit und Verzweiflung haben Einzug gehalten ins Leben all derer, die diesen Moment teilen. Einzug gehalten in Form eines Sargs, der viel zu klein ist. Viel zu klein für ein Leben. Wird es je wieder friedlich, je wieder gut im Leben der Familie, die heute ihr Baby begraben muss? Ich hoffe und bete. Quälende Zweifel. Niederdrückende Stille. Durchbrochen vom gleichmäßigen Knirschen all der Füße auf dem Kiesweg.

Mein Blick bleibt an den Farben hängen: das Rot der Rosen und die bunten Luftballons vor dem Weiß des Sarges. „Das ist so falsch“, denke ich bei mir und höre die Tränen um mich herum. Ich teile die Wut; das Unverständnis. Ich möchte mit und für die Familie schreien: Erklär mir, was das soll, Gott! Du sagst, dass alles ein Ziel und einen Zweck hat. Aber welchen? So oft verstehe ich deine Wege nicht. Ein paar Antworten wären schon schön, Gott. Wie kannst du das nur zulassen?

Ja, an manchen Tagen wünsche ich mir nichts mehr als deine Antworten. Erklärungen für all das, was wir Schicksalsschläge nennen. An manchen Tagen ist das so. Aber ich merke: Heute brauche ich eigentlich keine Antworten. Ich brauche nur genug Kraft. Um durchzuhalten. Um trotz der offenen Fragen Halt zu geben. Um angesichts der unbändigen Trauer deine Hoffnung zu verkündigen. Um deinen heilenden Segen zu spenden.

Heute, Gott, brauche ich gar nicht viel und doch alles: die Gewissheit, dass du meine Wege und Gedanken verstehst und mitfühlst, obschon deine ganz andere sind. Die Gewissheit, dass du mir einen langen Atem schenkst, um mit den richtigen Worten auch und gerade jetzt einen kleinen Funken Hoffnung weiterzugeben.

Daran halte ich fest. Denn das hast du versprochen: Das was in meinen Worten wirklich dein Wort ist, das wird nicht leer zurückkommen. Es wird tun was dir gefällt und ihm wird gelingen, wozu du es sendest.

Gebet:

Dass ich deine Wege nicht immer verstehe, ist in Ordnung, Gott. Aber lass mich spüren, dass du meine Schritte leitest und begleitest. So kann ich meinen Weg in deiner Welt finden. Mutig und hoffnungsvoll. Manchmal auch trotzig. Aber im Vertrauen auf dich, weil du mir versprichst: „Du sollst in Freuden ausziehen und im Frieden geleitet werden.“ Amen.