Andacht über den Predigttext für den Sonntag Reminiszere: Markus 12, 1-12

Harte Arbeit im Weinberg

von Jana Lena Falcke

Foto: JuanFrancisco

Predigttext
1 Und er fing an, zu ihnen in Gleichnissen zu reden: Ein Mensch pflanzte einen Weinberg und zog einen Zaun darum und grub eine Kelter und baute einen Turm und verpachtete ihn an Weingärtner und ging außer Landes. 2 Und er sandte, als die Zeit kam, einen Knecht zu den Weingärtnern, damit er von den Weingärtnern seinen Anteil an den Früchten des Weinbergs nähme. 3 Da nahmen sie ihn, schlugen ihn und schickten ihn mit leeren Händen fort. 4 Abermals sandte er zu ihnen einen andern Knecht; dem schlugen sie auf den Kopf und schmähten ihn. 5 Und er sandte einen andern, den töteten sie; und viele andere: die einen schlugen sie, die andern töteten sie. 6 Da hatte er noch einen, den geliebten Sohn; den sandte er als Letzten zu ihnen und sagte sich: Sie werden sich vor meinem Sohn scheuen. 7 Sie aber, die Weingärtner, sprachen untereinander: Dies ist der Erbe; kommt, lasst uns ihn töten, so wird das Erbe unser sein! 8 Und sie nahmen ihn und töteten ihn und warfen ihn hinaus vor den Weinberg. 9 Was wird nun der Herr des Weinbergs tun? Er wird kommen und die Weingärtner umbringen und den Weinberg andern geben. 10 Habt ihr denn nicht dieses Schriftwort gelesen: „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden. 11 Vom Herrn ist das geschehen und ist ein Wunder vor unsern Augen“? 12 Und sie trachteten danach, ihn zu ergreifen, und fürchteten sich doch vor dem Volk; denn sie verstanden, dass er auf sie hin dies Gleichnis gesagt hatte. Und sie ließen ihn und gingen davon.

Ich bin ein Kind des 20. Jahrhunderts, digital Native und Generation Y. Ich bin kritischer Geist, Hinterfragerin und Gott-Suchende. Ich höre ein Gleichnis Jesu, das mir viele Fragen aufgibt.
Judith ist Kind ihrer Zeit, Generation Jesus, digitale Steinzeitbewohnerin. Sie ist traditionsbewusst, Kennerin des Ersten Testaments, überzeugte Jüdin. Judith hört ein Gleichnis Jesu, das eine versteckte Antwort beinhaltet.
Ich höre eine Geschichte von einem Großgrundbesitzer, der seinen Reichtum vermehren will, der andere für seinen Gewinn schuften lässt, der sich nicht kümmert, sondern aus der Ferne auf Einnahmen hofft.
Judith hört ein bekanntes Lied. Sie hört die Geschichte von einem liebenden Gotte und seinem Volk, die sie schon oft gehört hat. Sie hört, wie Gott sein Volk, seinen Weinberg, anlegt, ausstattet und anderen Händen anvertraut.
Ich höre eine Geschichte von verzweifelten Bauern, hart arbeitenden Männern und Frauen, die ihren kleinen Gewinn teilen müssen. Ich höre von Menschen in armen Verhältnissen, die sich nicht anders zu helfen wissen, als ihre Existenz mit Gewalt zu retten.
Judith hört eine Geschichte von schlechten Weingärtnern und schlechten Führern ihres Volkes. Sie erinnert sich an das Geschick ihres Volkes, das immer wieder durch schlechte Gärtner ins Verderben geführt wurde.
Ich höre eine Geschichte über einen blauäugigen Weinbergbesitzer, der Mal um Mal lasch reagiert, seine Bediensteten ins Verderben rennen lässt und nicht durchgreift.
Judith hört eine Geschichte eines Gottes, der sein Volk nicht aufgibt, der unzählige Male Nachsicht und Gnade walten lässt, der Prophet um Prophet schickt, um sein Volk doch noch zur Umkehr zu bewegen.  
Ich höre eine Geschichte von einem verantwortungslosen Weinbergbesitzer, der sogar seinen eigenen Sohn ins Verderben rennen lässt und nicht bereit ist, sich selbst die Hände schmutzig zu machen.
Judith hört eine Neuinterpretation ihres altgeliebten Liedes. Sie hört von einer sensationellen und auch anmaßenden Deutung. Sie hört von einem Sohn Gottes, der als letzte Rettung kommen soll und schon wieder verworfen wird.  
„Aus welcher Vollmacht tust du das?“, fragen die Hohepriester, Schriftgelehrten und Ältesten Jesus, nachdem er im Tempel die Tische der Händler und Geldwechsler umgeschmissen hat. Und er erzählt diese Geschichte, die für mich mehr Frage als Antwort ist.
Aber Judith hört, was Jesus damit sagen will, hört die versteckte Antwort. Jesus stellt sich in eine Reihe mit den früheren Gesandten, mit den Propheten des Alten Testaments. Sie waren Gottesrufer, Umkehrprediger und Gerechtigkeitsmahner. Sie haben nicht geschafft, was sie schaffen sollten. Jesus stellt sich selbst als die letzte Hoffnung dar, die schon wieder getötet werden wird.
Für die Hohepriester, Schriftgelehrten und Ältesten ist diese Geschichte zu viel, zu fordernd, zu anmaßend. Sie gehen.
Und Judith und ich? Bleiben wir oder gehen wir?

Gebet:

Gott, du ermahnst und rettest, du forderst und gibst. Manchmal verstehe ich es nicht, verstehe dich nicht. Aber ich will stehen bleiben, will dich hören, dir Raum geben.
Ich will dich in alten Liedern und neuen Wörtern hören. Bitte gib uns nicht auf und sprich immer wieder dein liebendes Wort zu uns.
Amen.